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7. November 2025
Gespräch von Anita Eichinger mit Hannes Werthner über das KI-Lab der Wienbibliothek

„Bibliotheken müssen KI proaktiv gestalten“

Künstliche Intelligenz verändert, wie Wissen entsteht, verarbeitet und weitergegeben wird. Wie reagiert eine öffentliche Gedächtnisinstitution auf diesen Wandel – und welche Rolle spielt der Mensch dabei? Ein Gespräch über Originale, Daten, Verantwortung und die Zukunft der Bibliotheksarbeit.

Magazin Digitale Transformation Hannes Werthner

„KI tut, was Bibliotheken schon immer tun – nur anders“ Warum ist es wichtig, dass die Wienbibliothek ein KI-Lab aufbaut?

Das ist eine der zentralen Zukunftsfragen für Bibliotheken. Die Wienbibliothek ist keine gewöhnliche Bibliothek – sie besitzt Originale, Handschriften, Briefe und Dokumente. Andere Bibliotheken verwalten nicht immer unikale Sammlungen.

Wenn man KI als Automatisierung kognitiver Prozesse versteht – also Wissenserwerb, -verarbeitung und -weitergabe –, dann tut sie im Kern dasselbe wie eine Bibliothek. Deshalb müssen wir uns aktiv mit dieser Entwicklung auseinandersetzen, also auch die Wienbibliothek, statt sich davon überrollen zu lassen. Wer abwartet, verliert – so wie viele Zeitungen den digitalen Wandel verschlafen haben.

„Bibliotheken und KI beschäftigen sich mit denselben Fragen: Wie Wissen entsteht, verarbeitet und geteilt wird.“

Ein digitaler Schatz für die Forschung: Was macht die Wienbibliothek in diesem Zusammenhang besonders?

Eure Bestände sind einzigartig – von literarischen Nachlässen über Musikhandschriften bis zu Briefen und Dokumenten des 19. und 20. Jahrhunderts.
Diese Materialien müssen digitalisiert werden, bevor man sie mit KI analysieren kann. Der Aufwand ist groß, aber der Erkenntnisgewinn ebenso: Mit maschinellem Lernen lassen sich Beziehungen zwischen Texten, Personen und Epochen erkennen, die der menschlichen Forschung bisher verborgen geblieben sind.

„Maschinen können Muster sichtbar machen, die in der Masse der Daten untergehen.“

Von Daten zu Geschichten: Welche Fragen stellen sich für die Informatik?

Eine besondere Schwierigkeit ist die Komplexität der Materialien – Texte, Bilder, Handschriften, die unterschiedlich miteinander verbunden sind, mit teils komplexen Bezügen. Für Informatikerinnen und Informatiker ist spannend, diese Strukturen zu erfassen und durch Machine Learning neue Zusammenhänge zu entdecken. Vielleicht entstehen daraus sogar alternative historische Perspektiven – Hypothesen, die Forscherinnen und Forscher anschließend prüfen und einordnen können. KI kann Beziehungen erkennen, aber sie ersetzt nicht das gesamte menschliche Urteilsvermögen.
Interessant wird es, wenn man maschinelle Analysen mit Crowdsourcing verbindet – also Bürgerinnen und Bürger einlädt, Ergebnisse zu kommentieren oder zu ergänzen. So entsteht ein gemeinsamer Erkenntnisprozess, in dem Mensch und Maschine voneinander lernen.

„Human in the Loop – der Mensch bleibt prüfendes und steuerndes Element im Prozess.“

Die neue Rolle der Bibliotheken: Welche Aufgaben bleiben Bibliotheken in dieser digitalen Zukunft?

Bibliotheken müssen selbst definieren, welche Rolle sie spielen wollen. Sie können reine Dienstleister bleiben – oder aktiv gestalten. Ich bin überzeugt, dass Bibliotheken eine vermittelnde, reflektierende und steuernde Rolle behalten sollten. Die Wienbibliothek kann hier Pionierin sein: Sie verfügt über einzigartige Daten und kann entscheiden, wie diese genutzt werden. Anstatt bloße Datenlieferantin großer Technologiekonzerne zu sein, kann sie aktive Partnerin auf Augenhöhe werden.

Offenheit mit Verantwortung: Wie lässt sich das mit Open Access vereinbaren?

Wir haben lange für offene Schnittstellen und Zugänge gekämpft. Gleichzeitig stehen wir jetzt vor der Frage, wie offen man wirklich sein kann.
Offenheit bedeutet nicht, alle Daten unkontrolliert freizugeben. Es geht um verantwortungsvolle Zugänglichkeit, die Urheberrechte, Datenschutz und kulturelle Verantwortung berücksichtigt. Wissen ist ein öffentliches Gut – kein Marktprodukt. Bibliotheken müssten sicherstellen, dass Teilhabe möglich bleibt.

„Open Access ja – aber nicht um den Preis, die Kontrolle über unser kulturelles Erbe zu verlieren.“

Vermittlung als Kernaufgabe

Auf einen wichtigen Punkt möchte ich hinweisen, die KI wird die Arbeitswelt und auch eure Arbeit verändern, aber, wenn sie gut gemacht and aufgesetzt wird, wird sie niemanden ersetzen. Bibliothekarinnen und Bibliothekare werden immer stärker zu Vermittlerinnen von Wissen und Kontext. Die Nachfrage nach Führungen und Workshops scheint zu wachsen – Menschen wollen verstehen, wie digitale Kultur funktioniert. So kann die Wienbibliothek aktiv ihre Sammlungen nach außen kommunizieren und zeigen, wie historische Materialien und moderne Technologien zusammenwirken.

Neue Formen des Sammelns

Zudem stellen digitale Materialien, beispielsweise digitale Nachlässe ganz neue Anforderungen: Wie archiviert man Social-Media-Beiträge, Webseiten oder digitale Manuskripte? Wie bleibt Authentizität gewahrt, wie schützt man Daten langfristig? Ich finde es hervorragend, dass die Wienbibliothek mit dem Bereich „Digitales Sammlungsmanagement“ darauf reagiert. So können sichere, lokale Repositorien, die den Erhalt und die Nachvollziehbarkeit digitaler Bestände garantieren – mit neuen Formen der Dokumentation und Metadatenpflege entstehen.

„Bibliothekar:innen braucht es weiterhin – nur mit neuen Fähigkeiten und größerer technischer Expertise.“

Ein kurzer Ausblick?

Bibliotheken haben sich wie andere Institutionen immer verändert – aber diese Veränderungen waren noch nie so rasant wie jetzt. Die Zukunft wird jenen gehören, die Kulturwissen mit Technologie verbinden. Die Wienbibliothek sollte diesen Wandel nicht nur begleiten, sondern aktiv mitgestalten – als Ort der Forschung, der Reflexion und des öffentlichen Wissens.